Computermuseum der Fakultät Informatik
Projekte und Referenzen
Das Computermuseum der Stuttgarter Informatik befaßt sich nicht nur mit dem
Sammeln und Vorführen der Exponate. Die Aufgabe eines Computermuseums aus
unserer Sicht ist sehr umfangreich und komplex, vieles findet daher nicht-
öffentlich oder außerhalb der Öffnungszeiten statt.
Zu den wichtigsten Aufgaben gehören auch die Realisierung eigener Projekte,
die der Museumsarbeit dienen, z.B. Programmsysteme oder Hardwareerweiterungen,
Datensicherung und -archivierung, Sammeln von Dokumentation, Software,
Datenträgern und sonstiger Unterlagen, aber auch Unterstützung von und Kontakt mit
Dritten. In vielen Fällen konnten wir beispielsweise bei der Konvertierung
oder dem Kopieren von Daten von inzwischen historischen Datenträgern auf moderne
Systeme helfen.
Historische Dokumente werden, so es die Zeit erlaubt, nach und nach eingescannt
und zum Teil auch an Bitsavers übergeben. Da Medien immer einem gewissen Grad
an Verfall unterliegen, werden sie ebenfalls so gesichert, daß einerseits
eine Rekonstruktion auf einem Originalmedium (z.B. Diskette) wieder möglich ist,
andererseits auch die Verarbeitung und Auswertung auf einem heutigen Rechner
erfolgen kann. Beispielsweise werden 1/2-Zoll-Magnetbänder in ein Container-
Format eingelesen, das auch von Emulatoren wie SIMH benutzt werden kann. Es
ist jederzeit möglich, daraus (z.B. auch mit Hilfe eines von einem Emulator
erzeugten Formats) wieder ein Magnetband zu beschreiben und es am Original-Rechner
zu benutzen.
Außerdem besitzt das Museum aufgrund seiner langjährigen erfolgreichen Arbeit
über einen außerordentlichen Erfahrungsschatz in den Bereichen Restaurierung,
Betrieb, Programmierung und Präsentation. Unser Ziel ist es zudem, das
umfangreiche Wissen weiterzugeben, sei es an interessierte Studenten oder
begeisterte Besucher.
Projekte und Referenzen (Auszug)
- 2004
- Beim Aufräumen im Physikalischen Institut haben ein paar Studenten in einem Schrank
Schachteln mit Lochkarten und Lochstreifen gefunden, die sie uns übergeben
haben. Wir konnten in der Folge feststellen, daß es sich um ALGOL-Programme
und Steuerdaten für eine Zuse Z64 Graphomaten handelt. Da der Graphomat, der
ohne Rechner arbeitet, zum Plotten Lochstreifen mit sehr speziellen Daten
benötigt, die u.a. die Getriebe steuern, haben wir die ein paar Programme
geschrieben, die diese Daten entschlüsseln und außerdem nach HPGL, der
Plottersprache von HP, übersetzen.
- Damit wir die Daten der Lochkarten und Wechselplatten der IBM 1130-Anlage archivieren und
sichern können, haben wir eine V.24-Schnittstelle an den Lochstreifenstanzer
"angeflanscht". Es ist somit möglich, durch Umstecken eines Kabels Daten statt
auf Lochstreifen auszustanzen per serieller Schnittstelle z.B. auf einen
UNIX-Rechner zu übertragen. Wir haben daher auch einige Assembler- und
FORTRAN-Programme geschrieben, die Lochkartenstapel oder Wechselplatten
einlesen und 1:1 übertragen. Die Abbilder der Wechselplatten lassen sich z.B.
problemlos in einem 1130-Emulator verwenden.
Wir sind seither in der Lage, beliebige Lochkarten einzulesen und zu sichern.
Wir können z.B. Programme auf Lochkarten auf einen modernen Rechner
übertragen, nach ASCII umwandeln und auf CD brennen.
- 2005
- Die Association pour un conservatoire de l'informatique et de la télématique
(ACONIT) in Grenoble besitzt ebenfalls eine IBM 1130-Anlage, die
jedoch zur Zeit nicht betriebsfähig ist. Jacques Pain nahm mit uns Kontakt
auf, und wir erhielten dadurch auch Kontakt mit dem Entwickler der schweizer
Version des 1130 ALGOL-Compilers, Olivier Lecarme, Emeritus an der Universität
Nizza.
- 2006
- Die Universität Tübingen, unter Leitung von Prof. Herbert Klaeren, Direktor
des Tübinger Schickard-Instituts für Informatik, lud uns ein im Rahmen eines
Vortrags des Studiums Generale mit dem Thema "Was läßt sich aus einem
Computermuseum lernen?".
- Das Stadtmuseum Tübingen fragte bei uns an mit der Bitte um einige
Exponate aus unserem Museum als Leihgabe für eine PC-Austellung im Herbst.
Dieser Bitte kamen wir gerne entgegen.
- 2007
- Dr. Gerard Alberts von der Universität Amsterdam, dort Dozent für Geschichte
der Mathematik und der Informatik, besuchte unser Museum im Anschluß an einen
Vortrag an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste und war von der
Vorführung hellauf begeistert:
"Haben Sie herzlichen Dank für den gestrigen Besuch zu Ihrem Museum. Es war
eine extra Excursion a l'improviste zum Abschluss der Vorlesungen an der
Akademie der bildenden Künste hier in Stuttgart.
Sie konnten wohl nicht wissen wie genau Ihre Vorführung gepasst hat zu
meinen Vorträgen: Speicher mit Quecksilber, mit Draht und mit
Kernspeicher, das hatte ich eben erwähnt. Mit Stolz hatte ich als
Einleitung zur Geschichte von Software die Geräusche und die Musik der
frühen Rechner besprochen, und ...
da wird es live vorgeführt. Hätten wir es vereinbart, es hätte nicht
besser passen können."
- Nach dem Besuch von Prof. Albert und einiger Studenten der Staatlichen Akademie
der Bildenden Künste wurde Herr Krause darum gebeten, zwei Lehraufträge zum
Fach "Speichertechnologien" zu übernehmen. Ebenso wurden wir gebeten, ein
Konservierungsprojekt mitzubetreuen, das sich mit der Videoinstallation von
Nam June Paik beschäftigt. Wir konnten u.a. vom zuständigen Steuerrechner, der
in die Jahre gekommen war, die Software und Daten sichern und dem Projekt zur
weiteren Forschung Hilfestellung zur weiteren Vorgehensweise geben.
- Die Constantin Film GmbH in Berlin war bei den Dreharbeiten zum Film
"Der Baader-Meinhof-Komplex" auf der Suche nach einem alten Großrechner als
Leihgabe für eine Szene und fragte uns nach der IBM 1130-Anlage. Über die
Modalitäten wurden wir uns nicht einig, so daß stattdessen eine Telefunken
TR440-Anlage aus Frankfurt genommen wurde.
- Das HP Computer Museum in Australien wurde auf unseren HP9000/840 aufmerksam.
Offensichtlich verfügen wir über das einzige lauffähige (evtl. sogar existierende)
Exemplar des ersten PA-RISC Rechners von Hewlett Packard. Infolgedessen werden
wir in Zusammenhang mit diesem Rechner an mehreren Stellen referenziert, so
z.B. auf den Webseiten des HP Computer Museums und im Buch "The HP Phenomenon"
von Raymond L. Price.
- 2008
- Spiegel Online erhielt von uns zwei Bilder vom Raytheon 704 für einen
Artikel über einen Spieledesigner.
- 2009
- Anläßlich eines Artikels in der Zeitschrift c't, verfaßt von einem Mitarbeiter
der FH Kiel, wurden die einzigen (zumindest europäischen) Exemplare der ersten
kommerziell vertriebenen Computermaus - die Telefunken Rollkugel - bei uns
"wiederentdeckt". Es finden weitere Nachforschungen auf dem Gebiet der
Geschichte der Eingabegeräte statt, u.a. auch von Prof. William Buxton von
Microsoft Research, die sich auf unsere Exemplare (es sind zwei vorhanden)
beziehen.
- Das Berliner Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits-
dienstes der ehem. DDR war auf der Suche nach einer Möglichkeit, einen Wechselplatten-
stapel von einem ESER-Rechnersystem auszulesen. Mangels passender Hardware konnten wir
diesen Dienst leider nicht erbringen.
- 2010
- Das Deutsche Museum in München nimmt unseren Museumskatalog 10 Jahre Computermuseum
der Stuttgarter Informatik in seinen Bibliotheksbestand auf.
- 2011
- Im Zuge des Reverse-Engineerings der Diehl Combitron ist es gelungen, die
Stahl-Lochstreifen der Maschinen (wir besitzen drei unterschiedliche Exemplare)
auszulesen, auf einen UNIX-Rechner zu übertragen und zu disassemblieren. Damit sind
wir weltweit die einzigen, die die Firmware dieser Maschinen kennen.
- 2012
- Mit Hilfe eines Stellaris Mikrocontroller-Entwicklungsboards von Texas Instruments,
das dankenswerterweise von Herrn Felten zur Verfügung gestellt wurde, wurde ein
Interface zum Auslesen des rohen Bitstroms von Disketten gebaut, so daß im Zusammen-
spiel mit selbstgeschriebener Software prinzipiell jegliches Diskettenformat
gelesen und nach entsprechender Analyse auch dekodiert werden kann. Vom Prinzip
her ist es mit dem Catweasel-Controller (kaum erhältlich) oder DiscFerret (ebenfalls
kaum oder gar nicht verfügbar) vergleichbar. Damit war es u.a. möglich, die
Disketten vom Signetics TWIN-System auszulesen und zu sichern (es ist anzunehmen,
daß dies die einzigen verfügbaren auf der Welt sind, da kein weiteres System mehr
zu existieren scheint).
- Entwurf und Bau einer ISA-Steckkarte zum Auslesen von Festplatten mit
SMD-Interface
Das Landesarchiv Baden-Würrtemberg kam zu uns mit der Bitte, drei SMD-
Festplatten auszulesen. Das Schwierige dabei ist, daß man eine solche Festplatte
nicht einfach in einen beliebigen Rechner mit SMD-Controller einbauen kann,
da das Aufzeichnungsformat vom Controller abhängig ist, und dazu existieren
keine Unterlagen. Daher wurde ein generischer Controller für einen PC entworfen,
der die Datenströme ohne weitere Verarbeitung von der Festplatte liest und
lokal in eine Datei schreibt. Alle weiteren Schritte zur Rückgewinnung der
Daten können dann per Software erfolgen, so daß alle möglichen Aufzeichnungs-
formate bei Bedarf implementiert werden können (so gewünscht). Dies ermöglicht
somit auch das Auslesen anderer SMD-Festplatten unbekannter Herkunft, von denen
das Museum einige besitzt.
- 2013
- Der Rechner MINCAL 523 wurde mangels Unterlagen komplett reverse-engineered.
Dazu gehören das Zeichnen der Schaltpläne der einzelnen Module, die interne
Verdrahtung, das Auslesen der ROM- und Kernspeicher-Module, das Disassemblieren
des Mikrocodes, die Rekonstruktion des Maschinenbefehlssatzes und die Analyse
des E/A- und Interruptteils. Erst dadurch war es möglich, die Maschine zu
reparieren und kleine Test- bzw. Demoprogramme zu schreiben.
Wir besitzen seitdem den vermutlich einzigen funktionierenden MINCAL-Rechner.
- 2014
- Ein kleines Malheur in der Konsolenschreibmaschine der IBM1130-Anlage zwingt
uns, die Maschine mit etwas Improvisation zu reparieren.
- Die Staatliche Bibliothek Regensburg nimmt unseren Museumskatalog 10 Jahre
Computermuseum der Stuttgarter Informatik in seinen Bibliotheksbestand auf.
- Vom IBM-Museum erhielten wir leihweise mehrere Kästen mit Microfiche-
Lochkarten, die in mühevoller Arbeit eingescannt wurden. Sie enthalten z.B.
Schaltpläne und Beschreibungen zu SLT-Modulen der S/360 und IBM 1130.
- 2015
- Der PDP-8 wurde 50 Jahre alt. Anläßlich des Jubiläums erschien auch ein schöner
Artikel im Zeit-Magazin mit unserem Classic PDP-8 (Ausgabe 13/2015).
- Restauration der Philips GM 5666/01 und Nordmende UO 963 Oszilloskope.
- 2016
- Restauration des Philips PM 3230/06 Oszilloskops.
- 2017
- Im Juli war das Online-IT-Magazin golem.de bei uns zu Gast und verfasste
einen sehr schönen Beitrag über das Computermuseum.
[externer Link ohne Gewähr; Stand 2017]
- Erstmalig wurde im Rahmen des Museums eine Bachelorarbeit angefertigt.
Die Arbeit "Entwicklung einer Programmierhilfe für die Diehl Combitron" wurde
von Felix Queißner erstellt und stellt neben weiteren Erkenntnissen ein
ausgezeichnetes Werkzeug zur Programmierung der Combitron in Maschinensprache
zur Verfügung.
- 2018
- Restauration des HP 2116B Minicomputers. Es waren ein paar Transistoren
und ein Kondensator in der Kernspeichersteuerung defekt, ansonsten läuft seither
alles problemlos.
Es wurde noch ein Lochstreifenleser und -stanzer hinzugefügt, als Krönung
besteht jetzt auch eine schnelle serielle Verbindung via DS-1B' zum HP 2100-
Rechner, der dann als Server dient, um z.B. Programme remote von Platte auf den
2116 laden zu können, ohne den Umweg über Lochstreifen gehen zu müssen.
- 2019
- Im Februar wurde mit der Sicherung und Archivierung aller im Bestand
befindlichen DC100-Kassetten für HP-Maschinen begonnen. Zuerst die Bänder
für die Terminals der HP2640-Reihe, dazu wurde eigens ein Programm zur
Erstellung eines 1:1-Abbilds geschrieben. Danach die Bänder für HP85, HP9845
und sonstige.
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